Relikt aus frühem Industriezeitalter weicht Baggern

Eisengießerei Kemper verschwindet nach über 120 Jahren aus dem Neuenkirchener Ortsbild

Neuenkirchen (dg). Hinter den alten, massiven Mauern begann eine erfolgreiche, Firmengeschichte. Laut Chronik errichtete Emil Kemper 1903 die Eisengießerei, nachdem er 1898 seine gleichnamige Firma gründete, die sich zunächst mit der Produktion landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte einen Namen machte. Entwicklung und Fertigung von Bäckereimaschinen folgte im Laufe der Jahre und ließ Kemper zu einem nationalen und internationalen Spezialisten auf diesem Sektor wachsen. Kempers Eisengießerei stellte 2018 den Betrieb ein, nachdem sie einige Zeit noch eigenständig betrieben wurde.

Seit Herbst 2021 sickert die Nachricht durch, dass Pläne zum Abbruch der Industrieanlage in Vorbereitung sind. Anfang Dezember, nur wenige Monate später, fahren Bagger, Radlader und Fachleute aufs Werksgelände der heutigen WP Kemper GmbH, um mit dem sensiblen Rückbau schrittweise zu beginnen. Hermann Kathöfer, ein heimisches Unternehmen aus dem Stadtteil Druffel hat den Abbruchauftrag übernommen. Als gewachsener Branchenspezialist (über 100 Beschäftigte) ist man vertraut mit alten Bauelementen und deren möglichen Belastungen. „Zunächst haben wir fachgerecht vorsichtig mit der Asbestmontage vorhandener Baukörper begonnen“, erläutert Tim Kathöfer Junior, als Einsatzleiter auf der Baustelle. Fachabteilungen von der Kreisverwaltung Gütersloh begleiten und überwachen Detailentsorgungen sensibler Rückstände. „Mit einer umfangreichen oberirdischen Schadstoff-Sanierung sind wir beschäftigt, ehemals im Arbeitsprozess eingesetzter tiefschwarzer Gießereisand wird abgesaugt und in dichte Säcke verpackt, Bodenanalysen sind vorbereitet“, schildert Tim Kat­höfer den Fortgang bei diesem Großauftrag weiter. Der Rückbau erfordert Erfahrung und starke Technik. Ein 50-Tonnen-Longfrontbagger, schwere Radlader, ergänzt durch einen 30-Tonnen-Abraumbagger, fressen sich Mauer für Mauer durch die historische Indus­trieanlage auf dem Gelände der WP Kemper ­GmbH, Lange Straße 8-10. Zig Tonnen Bauschutt, Eisen- und Stahlkonstruktionen müssen geprüft, verarbeitet und vom Platz der etwa 4.000 Quadratmeter großen Gießerei abtransportiert werden. Containersysteme und eigener Fuhrpark sind dabei im Einsatz 

Bis Ende April 2022 soll der Rückbau abgeschlossen sein, so die Planung. Dann ist auch das letzte Gebäude der Anfangsjahre von Emil Kemper Geschichte. Mit ihm auch stumme Zeugen der Zeit des Naziterrors. Um drei Uhr am Nachmittag des 25. September 1938 fuhren SS-Angehörige aufs Werksgelände. Mit der Drohung Kaufvertrag unterschreiben oder KZ, wurde die jüdische Familie Kemper innerhalb weniger Stunden, inklusiv aller Vermögen enteignet. Von England aus, wo sie in den Kriegsjahren weilte, kämpfte Kate Kemper um die Rückgabe ihres Familienunternehmens, was 1954 gelang. Mit der treuen Kemper-Belegschaft baute sie das elterliche Erbe zur führenden Maschinenfabrik in der Backindus­trie auf. 1990 übernahm Jürgen Horstmann, Bielefeld das Spezialunternehmen von der Frau Kemper. 2014 wurde umfirmiert in die WP Kemper GmbH (160 Mitarbeiter) und ist somit Teil der WP Bakery Group. Die Gruppe vereint Betriebe die alle auf verschiedenen Gebieten Spezialisten der Bäckereitechnik sind. 40 Auslandsvertretungen gestalten den Vertrieb. So erreicht Bäckereitechnik aus Rietberg auch Partner in USA, Japan und Australien.