Rietberg. In seiner Ausgabe 1009, vom 4. Juni 21, berichtete der Rietberger Stadtanzeiger über eine kleine Sensation am Klingenhagen. Der Gütersloher Archäologe Johannes Glaw, bestätige mit den Rietberger Heimatforschern Dr. Michael Orlob und Wolfgang Lewerenz, die schon in der Geschichte vermutete Wall-Graben-Befestigung. In akribischer, geduldvoller Grabungsarbeit in den letzten Wochen, haben Johannes Glaw und sein Team, kleine Schätze als Zeitzeugen in den Bodenmassen gefunden. Sein Text mit Bildern berichten davon.
Schon bald nach 1300 dürfte die 1289 gegründete Stadt Rietberg zum Schutz gegen äußere Feinde befestigt worden sein. Angesichts ihrer Lage fernab wichtiger Handelswege – die Bevölkerung zählte bis ins 16. Jahrhundert wohl weniger als 1.000 Einwohner – war es nicht notwendig, sie mit einer aufwändigen Stadtmauer zu umgeben, sondern die Territorialherren hielten eine unter Einbeziehung der Ems zu schaffende Wall-Graben-Anlage für ausreichend. Den gesamten Stadtkern umschließend, sind torartige Zugänge im Norden wie im Süden überliefert, während über die Struktur der Anlage selbst nur wenig bekannt war.
Erstmalig konnte nun archäologisch das Ausmaß der Grabenbefestigung erfasst werden (vgl. den Vorbericht im Stadtanzeiger vom 4. Juni 21), wobei mit der Ausdehnung der Stadt in den folgenden Jahrhunderten der ursprünglich an dieser Stelle vorhandene Wall abgetragen, der Graben verfüllt und schließlich mit Häusern überbaut wurde.
Das betraf hinsichtlich des südlichen Teils der Befestigung die Häuserzeile am Klingenhagen. Als zwecks Neubebauung der dortige Hauskomplex Nr. 10/12 abgerissen wurde, machte die dabei entstandene Baugrube zu den beiden Nachbarhäusern hin das Profil der ursprünglichen Grabenanlage sichtbar: zwei dem Wall vorgelagerte Gräben, nach Innen ein solcher von 11 m Breite und ca. 3 m Tiefe, davor ein weiterer von 6 m Breite und 2,50 m Tiefe. Angesichts derartiger Dimensionen stellte eine solche Baumaßnahme eine gewaltige Gemeinschaftsleistung der mittelalterlichen Bewohner dar, denn allein im Bereich des Südgrabens dürften auf einer Länge von 200 m über 5.000 Kubikmeter Erdreich von Hand bewegt worden sein.
Neben der fortifikatorischen Bedeutung des von der Ems durchflossenen Doppelgrabens wurde bei der archäologischen Untersuchung der Verfüllung erwartungsgemäß noch eine weitere Nutzung fassbar, denn angesichts der hygienischen Verhältnisse innerhalb mittelalterlicher Städte diente er mindestens 300 Jahre lang der öffentlichen Müllentsorgung. Und so lieferte denn das dunkle Sediment des Grabens mehr als 2.500 Funde unterschiedlichster Abfälle. Etwa zur Hälfte waren es Keramikscherben, also die Reste kaputter Gefäße, deren älteste ins 15. Jahrhundert datieren. Bei ihnen handelt es sich um sog. „Siegburger Steinzeug“, eine helle, rotflammige Tonware, die aus dem Mittelrheingebiet stammt und als Importgut über Kölnische Kaufleute nach Rietberg gelangt sein dürfte.
Ebenfalls als Import ist im 16./17. Jahrhundert sog. „Weserware“ nach Rietberg verhandelt worden. Deren bäuerliche Gebrauchsformen liegen als Scherben von mit einem Malhorn verzierter, rotbraun bzw. grüngelb glasierter Tonware vor. Neben dem keramischen Fundgut, das außer Scherben auch Spinnwirtel als Zeugnisse von lokaler Textilherstellung enthielt, bilden Glasscherben die zweithäufigste Fundgruppe (knapp 30%). Zumeist handelt es sich um frühneuzeitliches, grünlich gefärbtes Fensterglas, aber einige Fragmente stammen auch von zerscherbten Glasflaschen oder Trinkgläsern aus jener Zeit.
Im Feuchtbodenmilieu des Grabens ist zudem eine Fülle organischen Materials überliefert (knapp 20%), insbesondere Knochen von Haustieren. Dazu gehören auch Teile von Kiefern samt einzelner Zähne. Häufig Rindern, Pferden und Schweinen zuzuordnen, handelt es sich wohl um Schlacht- oder Küchenabfälle, wobei die Langknochen nicht selten zur Gewinnung von Knochenmark zerschlagen worden sind. Erhalten sind aber auch einige Lederreste, die auf weggeworfene, kaputte Schuhe aus dem 16. Jahrhundert verweisen.
Eine Nutzung des Grabens auch noch im 18./19. Jahrhundert belegen neben keramischem Material auch mehrere Pfeifenköpfe aus weißem Ton sowie ein Flaschenemblem aus Glas mit der Inschrift „Harmonie in Rietberg“, das den unmittelbar lokalen Bezug deutlich werden lässt.
Unabhängig von der erstmaligen Erfassung der Rietberger Stadtbefestigung vervollständigen diese Funde insgesamt vor allem das bisherige Bild von Alltag im späten Mittelalter/der frühen Neuzeit in der damaligen kleinen Stadt, das bislang nur über wenige Funde im innerstädtischen Bereich bestimmt war – das Fenster in die Rietberger Vergangenheit hat sich damit wieder einen Spalt weit geöffnet.