„Sport als 4. Hauptfach“ wird NRW-Modellprojekt

Richard-von-Weizäcker-Gesamtschule setzt Meilenstein – Theorie und Praxis verknüpfen

Bürgermeister Andreas Sunder, Thorsten Quest (Bezirksregierung Detmold), Schulleiter Burkhard Ernst sowie Jan Martin und Dan

Bürgermeister Andreas Sunder, Thorsten Quest (Bezirksregierung Detmold), Schulleiter Burkhard Ernst sowie Jan Martin und Daniel Jürgens präsentieren mit Stolz das Modellprojekt „Sport als 4. Hauptfach“. Fotos: RSA/Pfaff

 

Rietberg (rdp). „Das passiert nur einmal im Lehrerleben“, ist Burkhard Ernst, Schulleiter der Richard-von-Weizäcker-Gesamtschule, mächtig stolz auf sein Team. NRW-Schulministerin Dorothee Feller habe selbst die Unterschrift gegeben, dass das ausgearbeitete Konzept „Sport als 4. Hauptfach“ Modellprojekt für ganz NRW werde. „Ab dem kommenden Schuljahr ist das ‚Modell Rietberg‘ – und zwar nur das Modell – für alle Gesamtschulen freigegeben“, so Ernst weiter.

Jubel bei Schülern und Schülerinnen, als ihnen verkündet wurde, dass sie ab Jahrgangsstufe 7 nun Sport als viertes Hauptfach wählen dürfen. Eine Ehre für die Gesamtschule sei es, berichtet der Schulleiter weiter, der aber das Kompliment vor allem an die beiden federführenden Jahrgangsstufenleiter Daniel Jürgens (11-13) und Jan Martin (8-10) weitergibt, die mit viel Akribie, Liebe zum Detail und Zeitaufwand das Projekt zu Papier gebracht haben

Sport führt zusammen und macht keine Unterschiede

Eigentlich, so blickt Jan Martin zurück, habe man schon vor dem Corona-Ausbruch einen ersten Aufschlag gemacht. Doch die Prioritäten seien nach der Pandemie anders geordnet worden. „Sportpraxis und Sporttheorie zusammenfügen und daraus ein Fach machen, das Schülern Spaß macht – weil Theorie gleich in der Praxis ausprobiert werden kann“, so Martin. Außerdem führe Sport zusammen und lasse damit Unterschiede verschwinden. Neben den Basics seien Musik, Kunst und Sport ganz wichtig für die Kinder: „Da steckt unfassbar viel Potenzial drin.“

Die Ministerin wie auch die Schulentwicklungskonferenz waren vom „Modell Rietberg“ begeistert und möchten nach vier Jahren eine Elevation erhalten. Für den Modellstandort gab es sozusagen den „dicken Stempel“. Daher arbeitet die Gesamtschule jetzt schon mit der Universität Hildesheim zusammen, die großes Interesse am Projekt bekundet hat. „Auch von Unternehmen, Firmen und Vereinen haben wir schon Feedback erhalten, die sich einbringen oder mitarbeiten möchten“, freut sich Daniel Jürgens, der es so zusammenfasst: „Alle haben mega Bock drauf.“ Und Jan Martin ergänzt: „Es gibt viele Stützpunktschulen in Deutschland. Und jetzt sind wir mit Fachbereich Sport dabei.“

Es sei ein optimales Konzept, das auch die Schulentwicklungskonferenz schnell positiv gesehen habe, betonte Thorsten Quest, verantwortlich für Gesamtschulen bei der Bezirksregierung Detmold. Fast 40 Gesamtschulen im Bezirk hätten bisher Interesse am Projekt gezeigt, eine Handvoll werde bestimmt im Schuljahr 25/26 schon dabei sein.

Sport als Abiturfach – ein Plan für die Zukunft

Damit verbunden ist bei der Gesamtschule Rietberg auch der Effekt, dass Sport als Abiturfach oder Leistungskurs daraus wachsen könne. Eine neue Oberstufenprüfungsordnung müsse noch abgewartet werden, genauso wie die Einführung eines fünften Abiturfaches. Denn das Interesse für das neue Schuljahr ist riesig: 60 Interessenten möchten das spannende Unterrichtsfach annehmen.

Wie sieht dann der Sportunterricht zukünftig aus? Laufen, Turnen oder Ballspiele gehören nicht der Vergangenheit an, doch diese – wie andere Sportarten – werden unter die Lupe genommen.  Sport als 4. Hauptfach bietet viele Inhalte. Daniel Jürgens: „Es geht auch um das Warum. Sportwissenschaft, Analyse, Anatomie, Herz-Kreislaufsystem. Sportmedizin, Trainingslehre, Biomechanik.“ Doch es geht um mehr als Übung und Wettkampf: Sportgeschichte, Sportsoziologie, Berufe im Sport. Die Beispiele liegen nah: Das Skigebiet Winterberg, das Deutsche Sportmuseum in Dortmund, Strukturen und der Einfluss der Region bei Bundesligaclubs wie Dortmund, Schalke oder Bielefeld. „Fußballprofi werden ist cool, aber nicht jeder kann es schaffen. Aber es gibt viele berufliche Möglichkeiten im Umfeld“, möchte Jürgens den Schülern Zukunftschancen zeigen. „Oder auch ein Blick in die unterschiedlichen Medien von der Sprache bis zu Emotionen. Olympische Spiele und Zusammenhänge mit Sportpolitik oder der großen Politik“, ergänzt Martin.

Jan Martin und Daniel Jürgens haben das Modellprojekt im Detail erarbeitet.

Redaktionsmeinung

Die „Rolle rückwärts“ ist nach der Diskussion um den Umbau oder Ausbau von Sportstätten in Rietberg zum geflügelten Wort geworden. Rietberg möchte Sportstadt sein, ist dabei in der Breite gut aufgestellt. Zur höherklassigen Spitze fehlt es doch, wenn man zum Vergleich umliegende Städte heranzieht. Nun lassen die angeschlagenen Kassen der Kommunen, die alles auf den Sparmodus stellen, keine Luftschlösser zu, wenngleich Sporthallen und Sportplätze zur Förderung, Ausübung und vielleicht sogar zur Leistungssteigerung nötig wären. Genau in dieser Phase macht die Richard-von-Weizäcker-Gesamtschule eine „Rolle vorwärts“, erarbeitet sich mit viel Fleiß den Status „Modellprojekt für NRW“ und gibt dem Schulsport die Bedeutung, die ihm oft versagt wird. Vielfach wird meist der Sport als Unterrichtsfach gestrichen, wenn es personell eng wird. Ein „Bravo“ auf die Entwickler der Gesamtschule für das Projekt „Sport als 4. Hauptfach“. Mehr Anerkennung als die persönliche Zustimmung der zuständigen Ministerin kann es kaum geben. Sport als Schulsport in der ganzen Vielfältigkeit von Athletik bis Zentrifugalkraft – ein Gewinn für Rietberg, eine Auszeichnung für die Gesamtschule. Ein wichtiger Schritt zum Sport als Abiturfach oder Leistungskurs. Da schleicht sich nur etwas trüb das Bild ein, dass die altehrwürdige Emsturnhalle (erbaut 1892) einer der Orte für dieses zukunftsweisendes Projekt – mangels Alternativen – sein wird.

Ronald Pfaff